Zur Abwechslung mal wieder ein bisschen Einblick in die australische Arbeitswelt aus meiner ganz persönlichen Perspektive.
Gewerkschaften spielen in der Schweiz eine wenig bedeutende Rolle im Erwerbsleben. Dies ist daran zu erkennen, dass mancher Arbeiter gar nicht weiss ob und welcher Gewerkschaft er angehört. Trotzdem ist jeder Vierte Arbeitnehmer in der Schweiz Gewerkschaftsmitglied.
Die grösste schweizerische Gewerkschaft ist der
SGB (Schweizerischer Gewerkschaftsbund) mit rund 385'000 Mitgliedern, dem wiederum 16 Untergewerkschaften angehören. Die wichtigste Rolle spielt heute die UNIA mit 200'000 Mitgliedern. Sie ist als Verein organisiert und wurde 2004 gegründet aus dem Zusammenschluss von GBI (Gewerkschaft Bau & Industrie), SMUV (Gewerkschaft Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen - mit Gründungsjahr 1888 die älteste Schweizer Gewerkschaft) und VHTL (Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport & Lebensmittel).
Die zweitgrösste Gewerkschaft ist
Travail Suisse, 2002 gegründet und sie zählt heute 170'000 Mitglieder.
In Australien sieht das etwas anders aus. Die ersten gewerkschaftlichen Verbindungen gehen auf die Jahre um 1850 zurück, dies ging in Hand mit den ersten Goldfunden. 1904 wurde in Queensland die Arbeiterpartei als Regierung gewählt, was noch in keinem anderen Land vorher der Fall war. 1927 wurde
ACTU (
Australian Council of Trade Unions) gegründet welche bis heute die grösste Gewerkschaft im Land ist. Ihr gehören 46 gewerkschaftliche Unterorganisationen an und sie zählt heute rund 1.8 Millionen zu ihren Mitgliedern.
Bei der Gründung 1927, repräsentierte die Organisation ausschliesslich die
blue collar workers (Handwerker). Ab 1948 bildeten sich parallel Gewerkschaften unter den
white collars (Büro-, Verwaltungsangestellte und Beamte) die allesamt 1981 mit der ACTU fusionierten. Die Popularität Gewerkschaftsmitglied zu sein hat in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Waren es 1988 noch 42%, sind es heute noch 20%, also ein kleinerer Prozentsatz als in der Schweiz. Dies hat insbesondere damit zu tun, dass die australische Gesetzgebung immer mehr Artikel enthält, die Arbeiter gegen Unterbezahlung, schlechte Altersvorsorge etc. staatlich schützt.
Der Einfluss der gewerkschaftlichen Organisation ist aber aus meiner Erfahrung in Australien stärker zu spüren als in der Schweiz. Die Gesamtarbeitsverträge enthalten jedes Detail der Anstellungsbedingungen und werden alle 3 Jahre hart neu verhandelt, so denn nicht die wirtschaftliche Situation signifikant ändert. Dann kann eine Neueinschätzung durchaus vorgezogen werden. Bei
AB Food & Beverages Australia wurden 2009 die neuen Bedingungen festgelegt, wegen der globalen Wirtschaftskrise standen aber diese Verhandlungen dieses Jahr erneut an. Dieser Prozess war sehr interessant mitzuverfolgen. In unserer Firma betrifft dies die
blue collars, also die Produktionsmitarbeiter, nicht aber die Büroetagen (zu denen auch ich gehöre, obwohl wir mitten in der Produktion sitzen).
Die Verhandlungen waren sehr zäh und dauerten insgesamt 2 Monate, wobei z.T. mehrere Meetings in einer Woche statt fanden. Die Gewerkschaft stand dabei sehr klar auf der Arbeitnehmerseite und den Arbeitern wurde eine horrende geforderte Lohnerhöhung von 6.5% empfohlen, als Start in die Verhandlungen. Es ging zu wie an der Börse, es wurde hart argumentiert, z.T. leider wenig fundiert. Die Teuerung im vergangenen Jahr belief sich auf 3.1%, dies nur als Anhaltspunkt, um die 6.5% in Relation zu setzen. Die Arbeitgeberseite versuchte es zu Beginn mit 2.9% und wollte jedoch andere
benefits (Leistungen) miteinschliessen, was abgekanzelt wurde, in einer ersten Abstimmung. Der Ball wurde hin und her geschoben bis man sich bei rund 3.5% einpendelte, was für den Arbeitgeber immernoch nicht akzeptabel war, aufgrund des mässigen Geschäftsganges. Schliesslich sassen wir dann während 3 Wochen auf einem Pulverfass, denn die Arbeiter haben das Recht zu streiken, d.h. Arbeitsverweigerung, müssen dies jedoch 48 Stunden vor Streikbeginn ankünden. Dagegen kann aber der Arbeitgeber nichts tun, respektive es bleibt ihm einzig, in den Verhandlungen nachzugeben. Das taten sie zum Teil, aber nicht zur Zufriedenheit der Arbeitnehmer, wodurch das Streikrisiko als hoch eingeschätzt wurde.
Auch bemerkte ich eine ziemlich unmotivierte und lasche Arbeitsweise während dieser Zeit, was wohl als Provokation gedacht war. Jegliche Überzeit wurde verweigert - und dies in der Hochsaison (weil wir ja hauptsächlich Pulver für Heissgetränke produzieren). Die Endabstimmung ob Streik Ja oder Nein entschied sich scheinbar mit 2 Stimmen gegen einen Streik und seither scheint wieder alles normal zu sein.
Wenn auch in der Schweiz ein Streikrecht besteht, sind die Bedingungen etwas weniger einladend, die Hemmschwelle liegt wohl auch aus kulturellen und historischen Gründen viel höher und zudem nehmen die Gewerkschaften eine etwas gemässigtere Stellung ein.